Der digitale Fortschritt beeinflusst die Stadtentwicklung. Längst können die Behörden mit simplen Methoden die Verkehrsauslastung der Straßen überprüfen, in einzelnen Bezirken für mehr Sicherheit sorgen oder schnell auf etwaige Probleme reagieren. So haben Barcelona und Singapur in der jüngsten Vergangenheit erhebliche Vorkehrungen getroffen, um ihre Metropolen mit Kameras, Sensoren und Bewegungsmeldern auszurüsten. Ein Vorbild, dem andere Städte rund um den Globus folgen werden. Ganz frei von Kritik ist dieses Vorgehen indes nicht. Denn die Smart City sammelt eine Vielzahl an Daten – auch über Sie. Doch was genau passiert damit eigentlich und welche Nachteile können sich für einzelne Bürger daraus ergeben?
Überwachungstechnologien in Smart Cities
Sicherlich haben Sie es im Alltag schon bemerkt: An Autobahnbrücken und Häusern befinden sich immer mehr Überwachungskameras. Diesen können Sie kaum noch entgehen. Fast alle Blickwinkel von großen Plätzen, Einkaufszentren und touristischen Highlights werden dabei erfasst. Die Entwicklung dient nicht nur den Behörden, um wertvolle Informationen über das Leben in der Stadt zu erlangen. Vielmehr soll damit auch der Schutz der Menschen erreicht werden. Anschläge können im besten Falle vereitelt werden, Straftäter lassen sich zweifelsfrei identifizieren. Etwa über die Gesichtserkennung, die heute zum festen Bestandteil der Kameras und der mit ihnen verbundenen Software gehört. Die Programme arbeiten so präzise, dass sie Unterschiede in kleinsten Details erkennen.
Auf die gesamte Stadt hochgerechnet bedeutet das aber auch, dass sich von einzelnen Personen oder Verkehrsmitteln ein lückenloses Bewegungsprofil erstellen lässt. Mehr noch: Dadurch, dass die Überwachungstechnologien genau aufzeichnen, wann Sie wo waren, können auch weitere Rückschlüsse über Ihr Verhalten gezogen werden. Im Übrigens passiert das heute bereits durch die Software selbst – nur im Zweifelsfall sind die Einschätzungen der Mitarbeiter eines Amts erforderlich. Über Tage, Wochen und Monate hinweg kann somit eindeutig nachgewiesen werden, wo Sie waren und was Sie dort gemacht haben. Die dabei gewonnenen Daten sind so individuell wie ihr eigener Fingerabdruck. Sicherlich: Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, der hat auch nichts zu befürchten. Aber ist das wirklich so?
Datenschutz und Privatsphäre
Zunächst einmal bedeutet das Vorgehen, dass Sie ständig überwacht werden. Natürlich nicht rund um die Uhr. Doch sobald Sie die allgemeinen Straßen und Wege nutzen, sich für eine Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln entscheiden oder einfach nur spazieren gehen wollen, haben Sie gute Chance, an wenigstens einer Kamera vorbeizulaufen. Ihre Privatsphäre ist folglich beeinträchtigt. Darüber hinaus werden Sie vom System erfasst. Auf diese Weise entsteht im Laufe der Zeit eine umfangreiche Sammlung an Einträgen – welche das sind, wann und zu welchem Anlass diese aufgezeichnet wurden und was damit geschieht, erfahren Sie hingegen nicht. Leider besitzen Sie rechtlich gesehen auch keinerlei Anspruch auf Einsicht in die Datensätze.
Die Smart City-Kritik stellt darauf ab, dass dem Missbrauch kaum Einhalt geboten werden kann. Sowohl die Behörden als auch die an den Überwachungstechnologien beteiligten Unternehmen haben sich zwar verpflichtet, mit den gespeicherten Inhalten so umzugehen, dass der Datenschutz gewahrt bleibt. Ob das wirklich geschieht, lässt sich indes bestenfalls spekulieren. Klar ist aber, dass sich auf der Basis des von Ihnen erstellten Bewegungs- und Verhaltensprofils ein wertvolles Wissen für zahlreiche Anbieter von Waren und Dienstleistungen ergibt. Wer Ihnen maßgeschneiderte Werbung zukommen lassen möchte, für den wäre das Überwachungskonzept eine Goldgrube. Übrigens müsste dahinter kein Vorsatz der Regierung zu vermuten sein – bereits kleinste Schwachstellen im Equipment und beim Personal würden Sicherheitslücken entstehen lassen.
Auswirkungen auf die Freiheit und Autonomie
Immer mehr Menschen wehren sich – wenn auch meist unbewusst – gegen den technischen Fortschritt und die digitale Vernetzung der Städte. So werden einzelne Wege und Straßen gemieden. Ebenso wird lieber bei kleinen Händlern als in großen Shoppingcentern eingekauft oder das Gesicht bedeckt. All das nur, um den strengen Augen der Kameras zu entgehen. Und wenn das schon nicht gelingt, dann doch wenigstens, um durch das System nicht identifiziert werden zu können. Die eigene Bewegungsfreiheit wird damit erheblich eingeschränkt, auch das individuelle Verhalten ist mehr und mehr darauf ausgelegt, bewusst falsche Interpretationen zu ermöglichen. Viele Bürger fühlen sich dadurch eingeengt und ihrer persönlichen Rechte beraubt. Weitere Auswirkungen sind die Folge:
- Die fortgeschrittene Überwachungstechnologie führt zu einem ständigen Gefühl der Beobachtung und Einschränkung der Privatsphäre.
- Bürger könnten sich selbstzensieren oder zurückhalten, um potenzielle negative Konsequenzen zu vermeiden, was die freie Meinungsäußerung einschränkt.
- Es entsteht ein Ungleichgewicht zwischen Sicherheit und individuellen Freiheiten, wobei Letztere zunehmend vernachlässigt werden.
- Die Möglichkeit der Überwachung durch Behörden kann das Vertrauen in staatliche Institutionen und demokratische Prozesse untergraben.
- Es besteht die Gefahr, dass Menschen sich in einem Klima der Überwachung und Angst vor Repressalien zurückziehen und weniger aktiv an politischen Diskussionen und demokratischen Prozessen teilnehmen.
Soziale Gerechtigkeit und Ungleichheit
Greifen wir noch einmal den Aspekt der Sicherheit auf, die die Stadt ihren Einwohnern bieten möchte: Überwachungsmaßnahmen sind zum überwiegenden Teil dort aufgebaut, wo sich ein großer Publikumsverkehr einstellt. Ebenso aber in jenen Bezirken, die hinsichtlich Einkommen und Lebensqualität über dem Durchschnitt liegen. Heißt im Umkehrschluss, dass vor allem Randgebiete und verarmte Bereiche weitgehend sich selbst überlassen bleiben. Ein Umstand, der die These der wachsenden sozialen Ungleichheit unterstreichen würde. Immerhin dürfen Schutz und Sicherheit nicht nur einem Teil der Bevölkerung zustehen, sondern sollten alle Menschen einbeziehen. Die Smart City-Kritik dreht sich vornehmlich um dieses Thema. Zumal sie in dem Vorgehen eine Diskriminierung einzelner Bürgergruppen sieht.
Doch nicht nur die Überwachung selbst sieht sich zahlreicher Vorwürfe ausgesetzt. Auch der innerhalb der Software arbeitende Algorithmus steht am Pranger. Seine Aufgabe liegt darin, Rückschlüsse aus unterschiedlichen optischen Merkmalen zu erlangen. So könnte schon Ihre Hautfarbe oder Ihre Kleidung dazu führen, dass Sie als potenzieller Täter angesehen werden. Wie genau die Algorithmen arbeiten, ist darüber hinaus nicht klar. Welche Faktoren werden durch sie ausgelesen und wie in einen Zusammenhang zueinander gestellt? Auf welcher Basis werden die damit verbundenen Entscheidungen gefällt – etwa im Rahmen von Ermittlungen? Fragen, die von den Behörden und den Unternehmen kaum einmal zufriedenstellend beantwortet werden. Und die somit abermals auf die vermeintliche Diskriminierung einzelner Menschen hindeuten.
Herausforderungen für Governance und Regulierung
Dass sich der technische Fortschritt vermehrt auf die Stadtentwicklung erstreckt, ist wohl nicht mehr aufzuhalten – dafür ist er im Alltag bereits zu weit etabliert. Und natürlich sind darin nicht nur Nachteile zu sehen. Der Einsatz der Überwachungstechnologien kann tatsächlich helfen, den Stau auf den Straßen zu vermeiden. Ebenso ist er in der Lage, Straftaten vorzubeugen. Doch bei alledem geht es auch um die Frage, wie genau das geschieht – und wie stark Sie von allen Maßnahmen berührt werden. Jede Form der Bürgerbeteiligung und der demokratischen Kontrolle gewinnt hier an Bedeutung. Die Teilhabe des Einzelnen am Geschehen muss zumindest dazu führen, dass Kameras und Sensoren nicht stillschweigend hingenommen werden.
Lässt sich der Einsatz der Technik nicht vermeiden, so müssen klare Spielregen dafür aufgestellt werden. Einerseits bezieht sich diese Forderung auf die Frage, zu welcher Zeit an welchem Ort und zu welchem Zweck überwacht wird. Andererseits sollte der Aspekt in den Mittelpunkt rücken, wie das System mit den gewonnenen Daten umgeht, ob und wie lange es diese speichert, wer die Erkenntnisse auswertet und welche Fakten für eine weitere Entscheidungsfindung herangezogen werden. Es ist die Politik, die für eindeutige Rahmenbedingungen und Richtlinien sorgen muss, die dem Bürger wieder das Zutrauen in derlei Maßnahmen ermöglichen. Gerade in einem solch sensiblen Bereich sind Transparenz und Rechenschaftspflicht alternativlos. Immerhin gehört die Bewegungsfreiheit zu Ihren wichtigsten Grundrechten.
Fazit
Die Smart City befindet sich noch in ihren Kinderschuhen. Erst langsam ist erkennbar, welche technischen Möglichkeiten es gibt und wie diese innerhalb der Stadt eingesetzt werden können. Zahlreiche der Maßnahmen mögen nicht zu beanstanden sein. Vielleicht lassen sich damit wirklich Vorteile für eine effizient arbeitende und sichere Umgebung erreichen. Dennoch dürfen diese Veränderungen nicht schweigend begleitet werden. Immerhin kann daraus auch eine Einschränkung der Bürgerrechte und der Bewegungsfreiheit entstehen. Denn zu welchem Anlass die Kameras ihre Aufzeichnungen erstellen und was mit den gespeicherten Informationen passiert, ist für die Bevölkerung nicht einsehbar. Ob es also bereits Datensätze über Sie gibt, werden Sie wohl nie erfahren. Selbst dann nicht, wenn Sie bei den Behörden nachfragen.
Der Einbau von Kameras und Sensoren muss zunächst nichts Negatives bedeuten. Ein gesundes Maß der Smart City-Kritik ist dennoch angebracht. Sie sollte darauf abzielen, die Politik zu mehr Transparenz zu verleiten, um überhaupt erst einmal zu überblicken, welche Überwachungskonzepte genutzt werden und welche Ziele damit verbunden sind. Weitergehend werden gesetzliche Grundlagen für die Erhebung, Speicherung und Auswertung personenbezogener Daten benötigt. Es muss jederzeit klar erkennbar sein, durch welche Behörde diese eingesehen und für eine mögliche Entscheidungsfindung herangezogen werden. Erst das sind die Voraussetzungen für den Einsatz der Sicherheitssysteme, die vielleicht auch Ihnen ein Gefühl von Schutz und Geborgenheit vermitteln. Nutzen Sie also die Gelegenheit, den für Ihren Bezirk zuständigen Abgeordneten darauf anzusprechen.
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